23 Mai Bo’jour Honfleur & Deauville
Als wir in Le Havre von Bord gehen, können wir kaum glauben, dass wir wirklich in Frankreich gelandet sind. Mit einem Mal fallen mir die wildesten Klischees über die „schnöde“ Normandie wieder ein und ich muss mich kurz kneifen, damit ich sie nicht in aller Öffentlichkeit hinausposaune.
Mit dem Shuttlebus fahren wir eine Runde durch die triste Innenstadt, in meinem Kopf dröhnt ein russischer Männerchor und die Betonklötzer, die uns entgegen ragen, lassen mich noch einmal bedenken, ob unser Kahn nicht doch irgendwo falsch abgebogen ist.
Es ist Dienstagmorgen und der Himmel ist noch grau und verhangen, was die normannische Hafenstadt nicht gerade mit Rouge bekleckert. Die vereinzelten Blumenkübel wirken wie Sprengladungen zwischen den Häusern, die sich in einem kargen beige-anthrazit aneinanderreihen.
Auf den Straßen, am Springbrunnen und auch vor dem Rathaus im Trend-Stil Eiserner Vorhang sehen wir keine Menschenseele. Tatsächlich wirkt die Stadt wie ausgestorben.
Das ist also die Romantisme français, die französische Romantik. Ich war schon lange nicht mehr hier und verspottete kurz vor dem Landgang noch all jene Seereisende, die eine stundenschwere Busfahrt auf sich nehmen, nur um den Fuß minutenlang in das leicht überschätzte Paris zu setzen. Tja, Le Havre kann es ja nun auch nicht sein.
Erleichtert, dass wir den Shuttleservice in die Stadt nur dafür nutzen, um zu unserem Mietwagen zu gelangen, schlage ich ehrfürchtig den Kragen meines Sommermantels hoch und halte weiterhin Ausschau nach bleichen Gesichern hinter den 60er Jahre Gardinen, die ich mir dort ausmale.
Honfleur
Das kann ja heiter werden. Nach unserem Spektakel in Bath am Tag zuvor habe ich mir heute wirklich etwas mehr Bilderbuch vorgestellt.
Nichts wie rein ins Auto und raus aus der Stadt. Kaum haben wir Le Havres Skyline mit der brennenden Öl-Raffinerie-Fackel hinter uns gelassen, passieren wir die Pont Normandie. Und mit dieser Überfahrt ändert sich der Ausblick auf einmal dramatisch.
Entlang der zerklüfteten Côte Fleurie nehmen wir Kurs auf das Hafenstädtchen Honfleur, fahren durch grüne Alleen und erhaschen immer mal wieder einen Blick auf die Küste, die nicht mehr von Industrie besudelt ist. So dröge und beinahe unheimlich Le Havre war, so kunterbunt und pittoresk erscheint auf einmal Honfleur vor unserer Linse.
Statt sowjetischer E-Moll Tonart erspähen wir – endlich – einen fröhlichen Akkordeon-Spieler am Hafenbecken, das sich wie gemalt vor uns aufbauscht.
Dass der Musikant weder Baskenmütze noch blauweiß gestreiftes Hemd trägt, macht das Karussell mit den Pferdchen im antiken Finish wieder wett.
Honfleur empfängt seine Gäste mit weiten Armen und weiß seine Anziehungskraft zu nutzen. Denn unter all den Schnörkeln ist Honfleur vor allem eine Stadt, die vom (Kreuzfahrt-)Tourismus lebt. Und eine Stadt, die es lohnt, besucht zu werden. Eine Stadt, in die man regelrecht eintauchen kann.
Viel mehr will ich über Honfleur an dieser Stelle gar nicht erzählen, denn in ein paar Wochen sind wir noch einmal dort. Wiedersehen macht in Honfleur Freude.
Hier seht ihr schon mal die ersten Lomo-Eindrücke dieses reizenden Städteleins…
Deauville
Nach einem Rundgang durch die Stadt, über unzählige Kopfsteinpflasterstraßen und durch verwinkelte Gassen, brausen wir weiter in Richtung Westen: Deauville steht als zweites Highlight auf unserem Tagesplan und die Erwartungen sind hoch. So spricht zum Beispiel das 36 Hours Buch von einem aristokratischen Seebad. Honfleur mag künstlerisch bezaubernd sein, aber in Deauville gibt es noch einen zusätzlichen Schlag Glamour. Schließlich eröffnete Coco Chanel ihren ersten Laden in Deauville.
Als wir auf der berühmten Strandpromenade Les Planches entlang flanieren, überzeugen uns die ordentliche Anordnung der Sonnenschirme, der anmutende Blick auf die Villen mit Seeblick und die mit Hollywoodsternchen versehenen Badehäuschen vom vornehmen Ruf.
Doch dann bricht es plötzlich über uns hinein. Weit draußen auf dem Meer konnten wir es schon sehen. Beobachten, wie es sich zusammenbraut. Als Seesturm, Regen und Donner auf uns niederprasseln, stehen wir zufällig an der richtigen Stelle und hören die Sonnenanbeter fluchen, die sich zu spät aufgerafft
haben und denen das Wasser regelrecht aus der Hose läuft.
Großartig.
Sommerregen und Gewitter und spontane Naturgewalten stacheln mich an. Als ob ich kurz einen Fingernagel in die Steckdose halten würde. Ich renne raus, mache mit einem Indianer-Jodeln ein Bild vom Sturm und würde mich am liebsten noch fünfmal im Kreis drehen. Herrlich.
Wir fahren in die Innenstadt, setzen uns in ein Café, das es bestimmt auch in Paris gibt und bestellen auf Schulfranzösisch eine Kleinigkeit zu Essen. Wenn ihr direkt an der Promenade speisen wollt, setzt euch in die Bar de la Mer und genießt den Art-déco-Stil.
Die Bäderarchitektur der Strandpromenade wird im Herzen der Stadt durch charmante normannische Fachwerk-Bauten mit Türmchen und französischen Balkonen ersetzt. Einen Springbrunnen gibt es auch.
Galant, galant, dieses Deauville. Mit piekfeiner Hafen- und Strandkulisse.
La Fin
Am Ende des Tages bin ich wirklich froh darüber, dass wir uns nicht dazu hinreißen lassen haben, einen der angebotenen Ausflüge zu buchen oder gar mit in die Hauptstadt zu fahren. Auf dem Rückweg nehmen wir den Weg entlang der Klippen, der gerade breit genug für unser Auto ist. Dank dieser Kulisse, des endlos weiten Blicks fühlen wir uns großartig und frei – trotz der Tatsache, dass wir unsere Reise zusammen mit rund 2.500 Menschen angetreten haben.
Wenn ihr auch gerade überlegt, welche Seeroute ihr einschlagen solltet, dann lasst euch von Le Havre nicht abschrecken. Es gibt genügend Ausflugsziele in unmittelbarer Nähe und ein Mietwagen ist schnell und gut organisiert (und viel günstiger als die angebotenen Landausflüge).
Zuletzt
Noch ein Wort zu Le Havre: Die außergewöhnliche – bzw. gewöhnungsbedürftige – Architektur geht auf einen Planaufbau zurück, wie er nicht selten auch nach Kriegen oder bei Planstädten anzufinden ist. Hier bekommt ein bestimmter Architekt oder ein Architekturbüro die Aufgabe, eine gesamte oder Teile einer Stadt (neu) zu errichten. In der Regel entsteht dabei viel Homogenität mit hohem Wiedererkennungswert.
Im Fall Le Havre wurde die Stadt nach dem 2. Weltkrieg nach den Plänen des Architekten Auguste Perret wiederaufgebaut. Rathaus und Kirche wurden z.B. nach seinen Plänen zur modernen Betonarchitektur konstruiert. Oscar Niemeyer ist in diesem Zusammenhang ebenfalls ein bekannter Name.
Merchi!
Alle anderen Seatrips findet ihr übrigens hier.
Honfleur und Deauville liegen im Norden Frankreichs, im Département Calvados:
Alle Bilder wurden analog mit Lomo Kameras auf Film aufgenommen. Kein Photoshop (bis auf Titelbild + Landkarte), keine Filter oder sonstiges.
Einfach pure, kreative Film-Fotografie.
Kameras: Lubitel 166+ (Le Havre), Diana F+ (Honfleur + Deauville) & LC-Wide (35mm)
Filme: Velvia 100 (Lubitel + Diana F+), Ektachrome 100 (Diana F+) & Provia X 400 (LC-Wide), alle gecrossed (X-Pro)
Entwicklung & Scan: LomoLab
English version:
As we come off our ship in Le Havre we can hardly believe that we seriously landed in France. I remember the wildest clichés about the „despicable“ Normandy north of Paris and I can barely keep from proclaiming them out loud.
We take the shuttle bus downtown and drive around the dull city centre. All the while a Russian choir is roaring in my head and the concrete blocks staring right back at us make me wonder whether our ship has indeed taken a wrong turn.
It’s Tuesday morning and the sky is still grey and murky, which does not particularly add to Le Havre’s blaze of colours. Not. The scattered flower tubs look like explosives between all those beige and anthracite buildings.
We hardly see a soul out on the streets, near the fountain or by the city hall, all held in the retro fashion of the Iron Curtain.
Indeed, the blank city of Le Havreseems somewhat lifeless.
So this is the Romantisme français, the French romanticism. It’s been a while since my last visit and I couldn’t resist teasing all the voyagers who opted for a very short visit in Paris that day, including a super long trip on the bus going there and back.
Well, if I’ve learned one thing: Le Havre ain’t the place either.
Relieved that we only use the shuttle service to get to the car rental, I reverently pull up my collar and look for pale faces behind the blast from the past curtains that I imagine to hide there.
Honfleur
Well, this ought to be fun. After the Bath spectacle the day before, I imagined this day to be picture perfect.
Jumping into the car and leaving Le Havre behind us, we cross the Pont Normandie. And suddenly the scenery changes dramatically.
Along the ragged Côte Fleurie, we set course for the harbour town of Honfleur. We pass lush tree-lined roads and catch glimpses of the coast that is no longer sullied by industry. As undynamic and almost eerie Le Havre seemed, the more colourful and pittoresque Honfleur appears right before us.
Instead of Soviet E minor keys we – finally – spot a cheerful accordeon player by the beautiful docks that blow up like a painting right in front of us.
The musician wears neither a beret nor a blue and white striped shirt. However, the horses on the merry-go-round in an antique white finish make up for it nicely.
Honfleur welcomes its guests with open arms and knows just how to use its appeal wittily. For beneath all the romantic gestures and antics, Honfleur is hardcore touristic in character. Nevertheless it’s a city worth one’s time and a place one can dive right into.
Let me refrain a bit from giving you too many spoilers, because in a few weeks, we will re-visit this snug haven town!
But first let me share my first lomo impressions of beautiful Honfleur…
Deauville
After a tour through the old town, toppling over charming cobblestone strees, and wandering through winding alleys, we drive further west.
Deauville is our second highlight of the day and the expectations are exceptionally high. My loyal travel companion „36 Hours“ even speaks of a aristocratic coastal resort.
Honfleur might be artistic and rather beguiling, yet Deauville is supposed to bring you some pom and glamour. After all, it was Coco Chanel who opened her very first store in Deauville.
As we stroll about the famous beach promenade Les Planches, the neat array of the sunshades, the dainty villas overlooking the sea and the beach huts that all carry names of Hollywood stars surely convince us of Deauville’s splendid reputation.
And suddenly it descends upon us. Far out on the sea we could already watch it rolling in. Looking on as it gathers and looms. As seastorm, rain and thunder pelt down on us, we happen to be in the right place and listen to sun worshippers who pulled themselves
together way too late and who have water rushing out of their pants. Hilarious.
Summer rains and thunderstorms always rile me up. As if pressing a finger nail into a power socket. I run towards the rain, take a picture of the storm with a yodelling yell and want to spin around at least five more times. Wonderful.
As the rain ceases, we drive into the city centre, walk around, buy some souvenirs and take a seat in small cafe that looks rather Parisian. We order typical French food in our schoolroom French. If you want to dine right at the sea front, visit the Bar de la Mer and enjoy the Art déco style.
The spa architecture by the sea is replaced by charming half-timber houses with little towers and French balconies. There’s even a fountain right in the middle.
Chivalrous and galant, this city by the sea. With a posh harbour and beach scenery.
La Fin
As we head back to the ship, we take the coastal road along the cliffs, which is almost as wide as our car. Thanks to this amazing scenery and the spectacular view we feel free as bird – in spite of the fact that we’re travelling together with 2.497 other voyagers.
At the end of the day, I am really happy that we didn’t join the mass heading to Paris or booked any other organized trip.
If your’re thinking about where to go on your own seatrip, don’t let Le Havre scare you off. There are multiple destinations for day-trippers nearby and a rental car is easily organized (and way cheaper than any of the offered excursions).
Last
One more thought about Le Havre: The extraordinary architecture which takes a little getting used to, is mostly due to an organized construction of the city, which is not uncommon regarding planned cities or rebuilt cities after a war. The task to construct a whole city or (rebuild) parts of it is given to an architect or an architectural office which often offers homogenous models with a distinctive design.
Le Havre had been rebuilt after World War II according to the plans of architect Auguste Perret. Houses, city hall and church all carry the signature of a modelled city regarding Perret’s view on modern concret architecture. Oscar Niemeyer is another architect famous for planning and constructing whole cities.
Merchi!
Read all about our Seatrips here.
Honfleur and Deauville are set in the North of France, within the Département Calvados:
All pictures were taken analogue on real film using Lomo Kameras. No Photoshop (except for the header and the map), no filters or any other artificial device.
Just pure, creative film photography.
Cameras: Lubitel 166+ (Le Havre), Diana F+ (Honfleur + Deauville) & LC-Wide (35mm)
Films: Velvia 100 (Lubitel + Diana F+), Ektachrome 100 (Diana F+) & Provia X 400 (LC-Wide), all crossed (X-Pro)
Dev & Scan: LomoLab
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Prof. Matthias S. Hartmann
Posted at 01:21h, 29 MaiWunderbar! phantastisch! Nach einem langen Arbeitstag schau ich dann und wann in diesen Blog,,, Honfleur ja,genau, da entdeckte ich die Musik von Stan Getz in einer Bar…. Vor über 30 Jahren.,.,
ach , Lomoherz wissen Sie eigentlich was Sie da wirklich anrichten bei den Lesern Ihres Blogs? Kaum jemand kennt Honfleur und Sie stellen diese Bilder Ihrer Lomo ins Netz, einfach so, und nehmen dabei keinerlei Rücksicht auf Ihre Leser so mitten in der Nacht??
ich liebe Ihren Blog, er gibt mir Kraft,Ideen, Mut , und heute; Erinnerungen, Honfleur, Wow!
all you Need is lomo,,, to meet the right People for the right life,
Lomoherz
Posted at 10:41h, 08 JuniHallo lieber Matthias,
vielen lieben Dank für die tollen Zeilen, ich habe mich wahnsinnig über den Kommentar gefreut und fühle mich wirklich sehr sehr geschmeichelt 🙂
Ich bin selbst ganz angetan von dem schönen Städchen in Frankreichs Norden und empfehle jedem, dort einen Zwischenstopp einzulegen oder sich gar in eins der charmanten Hotels einzuquartieren, denn die Küste um Honfleur und Deauville sah von weitem sehr schön aus.
Ich freue mich, Erinnerungen aus dieser Zeit bei Ihnen geweckt zu haben, wie wunderbar! In diesem Fall sind meine Bilder durch den Einfluss der Lomography nicht unbedingt repräsentativ, aber war Honfleur damals auch schon so … voller Flair? Vielleicht freut es Sie ja zu hören, dass ich Honfleur in ein paar Wochen noch einmal mit der Kamera erkunden werde (für ein paar Stunden zumindest). Ich nehme dieses Mal einen klassischen Film mit, kann aber noch nicht sagen, wann die neuen Bilder online gehen werden 😉
Herzlichen Dank noch einmal für die schönen Worte. Anderen Inspiration und Ideen zu geben ist mit das Schönste, was man mit einem Blog erreichen kann und was mir wiederum Kraft gibt weiterzumachen 🙂
Alles Gute und bis bald,
Conny
Paleica
Posted at 08:07h, 16 Junihonfleur und deauville sehen wirklich wunderbar aus! wir haben uns ja damals nicht wirklich informiert gehabt und gedacht, na gut, dann sehen wir uns diese „planstadt“ eben mal an. ich war aber ziemlich erschüttert (hab sie sogar in meine 5 anti reisetipps verblogged) und möchte dort eignetlich nie wieder hin – das war echt schockierend.
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